Akademie der Kunst und Philosophie | Academy of Arts and Philosophy
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Kurs Nr. 586 Tizian (Tiziano Vecellio) 


"Auf die Wahrheit ihrer Farbenmischung nun hatten die Meister der venezianischen Malerschule ihr Hauptaugenmerk gerichtet, und darin angezeigtermaßen einen sehr hohen Grad erreicht; ja Tizian ist vielleicht in diesem Stück für vollkommen und unübertrefflich zu halten.." Goethe
Tizian (Tiziano Vecellio)

 

 
 
 
 
 

 

Aus dem Inhalt:

Tiziano Vecellio (1477-1576) war gleichbedeutend in der Historien-, Landschafts- und Portraitmalerei; er verband Idealität der Auffassung mit großer Beherrschung der ästhetischen Gesetzlichkeit. "Giogio Barbarelli da Castel Franco, genannt Giorgione, ein Zögling Giovan Bellini, bediente sich bei eben so kräftigen Schatten, noch glühenderer Tinten, und hatte es so weit gebracht, dass für den gleich auf ihn folgenden, von demselben Lehrer unterrichteten Tiziano Vecelli kaum noch ein kleiner Schritt zu tun übrig blieb, um sich zur höchsten und bekannten Vortrefflichkeit des Kolorits zu erheben," schreibt Goethe über den Farbmagier Tizian in seiner Farbenlehre. [1]

"Auf die Wahrheit ihrer Farbenmischung nun hatten die Meister der venezianischen Malerschule ihr Hauptaugenmerk gerichtet, und darin angezeigtermaßen einen sehr hohen Grad erreicht; ja Tizian ist vielleicht in diesem Stück für vollkommen und unübertrefflich zu halten.." Goethe
Von überall in der Welt werden, anders als in Florenz, kostbare Gewürze, Tinkturen und Farbpigmente nach Venedig importiert, eben auch der mit Gold aufzuwiegende Tiefblau-Lapislazuli aus Afghanistan. Während andernorts die Maler ihre Farben in der Apotheke kaufen müssen, hat Venedig als einzige Stadt spezialisierte Farbhändler als eigenen Berufsstand. Beim Gang durch Ausstellungen wie der ab Februar 2019 eröffneten Städel-Ausstellung „Tizian und die Renaissance in Venedig“ gewinnt der Besucher den festen Eindruck, dass die Maler dieser bunten Stadt um ihr Zentralgestirn Tizian herum alles daransetzten, noch die feinst abgestufte Spektralbrechung des Lichts in der Lagune in Farbe zu übersetzen.  Aber nicht nur Blau- und Rottöne (die vor allem der in Venedig lernende El Greco direkt übernimmt) prägten Tizian: Er übersetzt selbst alte Bildsymbole in Farbe, wenn er etwa auf dem Londoner „Noli me tangere“ den zentralen Baum hinter Jesus und Maria Magdalena nicht wie im Mittelalter halb abgestorben, halb neu ausschlagend zum Zeichen von Christi transitorischem Zustand bei der Auferstehung malt, sondern in den verwelkten Brauntönen frisches Grün sprießen lässt. [2]

Und auch wenn es der reichen Handelsstadt nicht an Konkurrenz größter Künstler wie Bassano, Tintoretto oder Veronese fehlte (von dem die furiose, zwei Meter hohe „Ruhe auf der Flucht“ und auf der wie in einem Explosionsbild die Engel, Menschen und Tiere in alle Richtungen stieben) – Tizian ragt doch heraus. Noch im hohen Alter wird er immer weiter mit Farbe experimentieren, vermalt geriebenes Blauglas als „Smalte“ auf seinen Bildern und fängt so das kristalline Glitzern der Stadt in den Wellen ein. Um aber die gewaltigen Unterschiede zwischen soliden Malern wie Bellini oder Palma Il Vecchio und Tizian aufzuzeigen, "wählt die Ausstellung den direkten Vergleich: Etliche sogenannte Sacra-Conversazione-Bilder dieser beiden werden in der Eingangsrotunde zusammengehängt, bevor Tizians Louvre-„Madonna mit dem Kaninchen“ von 1530 diese hinwegfegt. Seine Komposition legt nicht mehr brav einen Cordon sanitaire aus Heiligen um die zentrale Muttergottes, die dann noch das Christuskind zum Ausweis ihrer Mutterschaft vorzeigen muss. Tizian stellt all dies auf den Kopf: In einer paradiesisch sattgrünen Landschaft im Abendrot – auch die beherrscht der Lagunenbewohner mühelos – macht er aus der üblichen Maria-mit-Heiligen-Pyramidalkomposition kurzerhand zwei Bildpyramiden und rückt diese an den linken Rand des Bildes. Von dort kommt nun die Königstochter Katharina in edlem Weiß mit Perlendiadem als Babysitterin mit dem Kind auf Maria zu. Trotz ihres höheren Standes lässt Tizian keine Zweifel aufkommen, wer hier wem dient, denn seine Katharina beugt sich demütig nach unten und kniet auf ihrem Märtyrerattribut des Rades wie auf einer Betbank. Die ebenso junge Muttergottes nimmt ihren Sohn entgegen, während sie gleichzeitig nicht ablässt, mit ihrer Linken ein Kaninchen auf der anderen Seite zu streicheln. Das makellos weiße Tier, das in seiner Erdhöhle verharrt wie dann der getötete Christus drei Tage in der Tiefe des Felsengrabs, meint wohl eine Tierallegorie auf Mariens dem Tod geweihten Sohn, aber es ist eben die Kühnheit, mit der Tizian derartige alte Symboliken neu formuliert – vor der Madonna liegen das Sündenfallsymbol des Apfels und die Weintrauben der Eucharistie, jedoch malt er beides in einen Korb, so dass das Ensemble auch als freies Stillleben durchgeht. Indem Tizian rechts seinem gemalten Arkadien eine Hirtenszene hinzufügt, entrückt er die Szenerie noch mehr ins Überzeitliche und Leichte, auch wenn der Schafhirte, unter dem Blätterdach einer dritten Pyramide stehend, die Züge des Bildauftraggebers Federico II. Gonzaga trägt, was ebenfalls kühn ist." [3]

Seine Porträts Kaiser Karls V., dessen Hofmaler er war, zählen zum Eigentümlichsten, was die Kunst hervorgebracht hat. Denn was heißt schon „Hofkünstler“, wenn der Kaiser persönlich sich beugt, um dem Künstler den heruntergefallenen Pinsel aufzuheben, wie es eine gut verbürgte Künstlerlegende verbreitete. Es verblüfft der Grad der Autonomisierung der Farbe bei Tizian immer wieder von neuem. Das nackte Fleisch im Akt-Saal vibriert, atmet und zwingt noch hundert Jahre später Rubens zur übertreffenden Nachahmung. [4]

Tizian gilt als bedeutendster Kolorist der italienischen Kunst, als Maler, der sich der Farben auf eine virtuose Art und Weise bediente wie kaum ein anderer. Das „Tizianrot“, mit dem er vor allem den Haaren seiner weiblichen Figuren ein unverwechselbares Aussehen gab, ist zu einem feststehenden Begriff geworden. Das Goldrot entspricht der Haarfarbe der Kurtisanen Venedigs, die sich Tizian als Modelle zur Verfügung stellten. Die Lust an Farbeffekten hat aber wohl generell etwas mit der Stadt zu tun, in der er lebte und arbeitete. Venedig, trotz Touristenmassen immer noch ein Sehnsuchtsort für Menschen aus aller Welt, war auch damals schon etwas Besonderes. Zu Tizians Zeiten erlebte die Stadt eine Blütezeit. Die einzigartige Lage zwischen Land und Wasser verleiht der einstigen Republik eine sehr spezielle Atmosphäre, das Licht bricht sich in Kanälen und Lagune, unendliche Spiegelungen lassen die Architektur in flirrenden Farben leuchten. Die Kunst der Renaissance erfuhr in der Serenissima auch deswegen eine Ausprägung, die sich von der Kunst jener Epoche in Florenz und anderen Städten unterschied. Das Städel Museum zeigt jetzt in der Sonderausstellung „Tizian und die Renaissance in Venedig“ mehr als 100 Meisterwerke, darunter 20 von Tizians eigener Hand. Mehr waren noch nie in einer Schau hierzulande zu sehen. Aber auch viele andere Künstler, die in dieser Ausstellung vertreten sind, haben klingende Namen: Giovanni Bellini, Jacopo Palma il Vecchio, Sebastiano del Piombo, Lorenzo Lotto, Jacopo Tintoretto, Jacopo Bassano, Paolo Veronese. In acht Kapiteln handelt die Ausstellung ihr Thema ab. Los geht es mit Marienbildern, an zentraler Stelle wird das Großformat „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ von Paolo Veronese präsentiert, ein Hauptwerk der venezianischen Renaissance. Von den Mariendarstellungen in üppiger Landschaft geht der Rundgang weiter zur Landschaftsmalerei. Erstmals in der Kunstgeschichte wird die natürliche Umgebung zu einem Stimmungsträger, womit die spätere autonome Darstellung der Landschaft vorbereitet wird. Sodann geht es um den Zusammenhang zwischen Malerei und Dichtkunst: Die mythologische Kunst Venedigs versteht sich nicht mehr nur als Illustration legendärer Stoffe, sondern beansprucht, selbst erfinderisch zu sein. Und stellt sich damit auf eine Stufe mit der Poesie. Ein anderer Raum widmet sich dem venezianischen Männerporträt, zum Beispiel ein Jünglingsbildnis, ein Frühwerk Tizians. Charakteristisch sind Porträts lässig-eleganter junger Männer in Schwarz ebenso wie Bildnisse der Dogen, die über die Republik Venedig herrschten. Männer in Rüstungen gaben den Malern Gelegenheit, den Lichteindruck so präzise wie nur irgend möglich wiederzugeben. Venedig war ein Zentrum des Farbhandels, was die Malerei offenbar begünstigt hat. Man schwelgte in Farben und glättete oft den Pinselstrich nicht, um die Spuren des Malens sichtbar zu lassen. Wie beeinflusste die Florentiner Kunst Venedig? Auch dies erörtert ein Kapitel der Schau. Zum Schluss werden einige exemplarische Werke gezeigt, die von der Wirkungsgeschichte der venezianischen Renaissance zeugen. [5]

Am Eingang empfängt uns die fulminante „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ von Veronese, in kühner Übertretung der Schwerkraft umfliegen helfende Engel die Muttergottes beim Stillen von Jesus, während Josef fürsorglich eine Trinkschale mit Wasser bereithält. Ein stämmiger Cherub in der Palme wirft einem Gefährten gepflückte Datteln ins aufgespannte Tuch – Proviant für die Weiterreise der heiligen Familie nach Ägypten. Die Kabinette sind thematisch gegliedert: Madonna mit Kind und in Konversation mit Heiligen; mythologische Figuren und Szenen in arkadischer Landschaft; ein Arkadenraum mit weiblichen Porträts. Am Venezianischen in der venezianischen Malerei "kommt der Kunstdiskurs nicht an der Konkurrenzstadt Florenz vorbei und schon gar nicht an Giorgio Vasari, der den Zank zwischen Venedig und Florenz in einer Mischung aus toskanischer Kirchturmpolitik und Nachlässigkeit in die Welt gesetzt hatte. Als sein Jahrhundertwerk „Die Leben der berühmtesten Architekten, Maler und Bildhauer Italiens von Cimabue bis heute“ 1550 erschien, war Tizian, der begehrteste Porträtist Europas, immerhin schon zweiundsechzig. In Vasaris Kompendium wurde er mit einem Satz erwähnt: als Schüler von Giorgione. Die venezianische Antwort auf Vasaris Torrentina kam 1557, als Lodovico Dolce im „Dialogo della pittura“ den streitbaren Dichter Aretino auftreten lässt. Der widerspricht Vasari: Nicht Michelangelo, sondern Tizian sei der größte Künstler der Gegenwart. Der also Angegriffene hatte inzwischen schon bemerkt, einen kunstdiplomatischen Fauxpas begangen zu haben, und versuchte diesen mit einem Höflichkeitsbesuch bei Tizian wettzumachen. In der zweiten Auflage der Viten, der Giuntina von 1567, ist denn auch Tizian mit einer mittelprächtigen Biographie vertreten. Der rechthaberische Akademiker aus Florenz kann es aber nicht lassen, gleich in der Einleitung zum Leben Tizians die mangelnde Übung der Venezianer im Zeichnen zu bemängeln. Disegno sei der Schlüssel zur Beherrschung von Kunst. Wer dies missachte, heiße er Tizian, Giorgione, Palma Vecchio oder Pordenone, müsse „den Mangel an Zeichnung unter dem Reiz der Farben verbergen“. Und überdies fehle es den Künstlern der Lagunenstadt am Studium der Antike. Die Kunstgeschichte als Erfolgsgeschichte kann es belegen, dass die Strahlkraft einer Kunstkritik umso größer ist, je einseitiger und partisanenhafter sie auftritt. Das gilt von Vasari, dem Panegyren der Toskanafraktion, bis zu Clement Greenberg, dem theoretischen Lobbyisten der New York School. Und so stellt sich das Städel noch nach 452 Jahren dem Paragone-Konflikt von disegno und colore, dem behaupteten Gegensatz von florentinischer Zeichnung und venezianischer Malerei". [6]

Auch Tintoretto war dem Zensor aus Arezzo suspekt. Lose Pinselstriche werfe der hin, „fast als wolle er sagen, die Kunst sei nur ein Scherz“. Die Art, wie Tintoretto uns über den Rücken zublickt, mit genialisch verwehter Haarmähne, weist über den Barock hinaus in die französische Romantik. Genauso sein „Quellwunder“ von Moses in der Wüste, im Besitz des Städels. [7]

In Venedig entsteht der moderne Künstler als Unternehmer. Albrecht Dürer war verblüfft über die Wertschätzung, die den Künstlern in Italien entgegengebracht wurde. Bei seinem Aufenthalt in Venedig 1506 schrieb er nach Nürnberg: „hie bin ich ein Herr, doheim ein Schmarotzer.“ Tizians Arbeitsweise schlägt ein neues Kapitel auf. "Ausgebildet in der Werkstatt Giovanni Bellinis, dem Staatsmaler der Republik Venedig, arbeitet er für die Höfe von Ferrara und Mantua, wo Kaiser Karl V. bei seinem Besuch auf den Künstler aufmerksam wird. Es folgen Aufträge seitens des Herzogs von Urbino. Als Porträtist wird Tizian bald in ganz Europa geschätzt; zu seinen Kunden gehört eine Klientel, die sich militärisch auf Schlachtfeldern trifft, wie der französische König François I., Erzrivale des Kaisers. Der internationale Stil der venezianischen Renaissance fördert, jenseits strittiger Hegemonialinteressen der Mächtigen, ein Geschmacksmonopol in der Hand weniger Künstler. Tizian ist einfach zu beliebt, um nur einem Herrn dienen zu können. Er betreibt seine Werkstatt in Venedig, das er nur zeitweise verlässt, um mit den Auftraggebern in Kontakt zu treten. 1548 weilt er in Augsburg, wo der Kaiser den Reichstag hält und der Maler die Porträtsitzungen für die teilnehmenden Würdenträger. So verkörpert Tizians Kunst das historische Apriori einer Epoche, Inbegriff ästhetischer Distinktion seiner Zeit, erhaben über das politische Tagesgezänk seiner Porträtierten." [8]

Der entscheidende Unterschied zu Florenz ist kultursoziologischer Natur. Raffael und Michelangelo waren Hofleute, die ihre besten Werke für den Papst ausführten. Die Ausmalung der Stanzen, das Julius-Grabmal, die Kuppel des Petersdoms sind standortgebundene Werke. "Die Venezianer arbeiteten hingegen für den Markt. Gewiss, Freskomalerei war nicht ratsam in der Lagunenstadt mit feuchtem Klima, in deren Pfahlbauten sich das Salz in die Wände frisst. Aber Öl auf Leinwand ist das geeignete Medium für bewegliche Luxusware." [9]

Während die Nachahmung von Michelangelo, Raffael und Leonardo in die Epigonalität führte, verkörpern die Venezianer die Ahnen der Avantgarde. Tizian, Tintoretto und später Tiepolo gewähren ihren Nachfolgern die Lizenz zum Regelbruch. Vergiss den Goldenen Schnitt, das antike Vorbild, die Zentralperspektive, ordentliche Zeichnung und das abgetönte Kolorit. Venezianische Malerei eröffnet den Schritt zum visuellen Experiment. [10]
 
 

Anmerkungen 

[1] Vgl. Kurse Nr. 586 Tizian , Nr. 020 Goethe: Wissenschaft, Kunst und Religion, Akademie der Kunst und Philosophie 
[2] Science Review Letters 2019, 18, Nr. 992 und FAZ 2019, Nr. 37; Nr. 38; FAS 2019, Nr. 10 
[3] Ib.
[4] Ib.
[5] Ib.;zu: „La Serenissima“, Venedig wird auch „die Heitere“ oder „die Gelassene“ genannt. Den Beinamen verdankt die Lagunenstadt ihrer glanzvollsten Epoche, als „La Serenissima Repubblica di San Marco“ noch europäische Großmachtpolitik betrieb. „Die allerdurchlauchteste Republik des heiligen Markus“ 
[6] Vgl. Beat Wyss 2019: Der Künstler als Unternehmer. In Florenz konnten sie zeichnen, in Venedig machten sie Avantgarde: Das Städel zeigt Tizian und die Kunst der Serenissima. Frankfurt a.M. und Anm. 2
[7] Ib.; zu Tintoretto vgl. Kurs Nr. 592 Tintoretto. Ib.
[8] Ib; zu Albrecht Dürer, Giovanni Bellini, Mantegna, Tizian vgl. Kurse Nr. 589 Albrecht Dürer, Nr. 590 Giovanni Bellini, Nr. 587 Andrea Mantegna, Nr. 586 Tizian. Ib.
[9] Ib.; zu Raffael vgl. Kurs Nr. 522 Raffael und das kosmische Christentum. Ib.
[10] Ib.; zu Tiepolo vgl. Kurs Nr. 629 Giovanni Battista Tiepolo. Ib.
 
 





Tiziano Vecellio, La Virgen con el Nino
 


Tizian, Madonna mit dem Kaninchen
 


Tiziano Vecellio, annunciatione


Tiziano Vecellio, Wisdom, 1560
 
 


Tiziano, Amor sacro y amor profano
 
 


Titian, The Holy Family with a Shepherd


Tiziano Vecellio, La Virgen con el Niño y Santos, musei vaticani
 
 


Tizian, Entry of Mary into the temple
 


Tiziano Vecellio, annunciatione, 1557
 
 


Tiziano Vecellio, Assunzione di Maria
 


Tizian, Ecce Homo, 1560
 


Tizian, Pieta, 1576 
 


Tizian, Pentecost, 1545
 
 


Tiziano Vecellio, La Gloria, 1554, Prado Museum

La Gloria by Titian, is also known as The Trinity or Adoration of the Trinity. It shows an image from Augustine of Hippo's The City of God describing the glory gained by the blessed and on the right includes Charles himself, with his wife Isabella of Portugal, his son Philip II of Spain, his daughter Joanna of Austria, his sisters: Mary of Hungary and Eleanor of Austria, all wearing their shrouds. Titian's signature is shown on a scroll held by John the Evangelist. On a lower level [at the right] are two elderly bearded men identified as Pietro Aretino and Titian himself in profile. At the top is an image of the Holy Trinity next to the Virgin Mary and Saint John the Baptist. The painting also features King David, Moses and Noah, along with a figure in green identified as Mary Magdalene, the Erythraean Sibyl, Judith, Rachel or the Catholic Church
 
 
 


“Felipe II ofreciendo al cielo al infante don Fernando” (1573 – 1575) de Tiziano, Museo Nacional del Prado

El 7 de octubre de 1571 la Liga Santa vencía al Imperio Otomano en la Batalla de Lepanto. Esta victoria fue representada por Tiziano en este lienzo, encargo de la corte española, junto a otro evento de gran importancia para Felipe II, el nacimiento del infante Fernando, que tuvo lugar solo dos meses más tarde; (Nr. 326 Kunst und Architektur der Renaissance, Nr. 586 Tizian, Nr. 591 Paolo Veronese, Nr. 598 El Greco, Akademie der Kunst und Philosophie / Acadmy of Arts and Philosophy / Academia de Artes y Filosofía)
 
 


Deckengemälde von Johann Philipp Rudolph, das die Seeschlacht von Lepanto in Szene setzt. Blitze treffen die osmanische Flotte 
 







Das Fest der allerseligsten Jungfrau Maria vom Rosenkranz (Festum Beatae Mariae Virginis a Rosario), kurz Rosenkranzfest genannt, wird in der Liturgie der katholischen Kirche am 7. Oktober gefeiert.  Das Rosenkranzfest wurde von Papst Pius V. (Papst 1566–1572) als Gedenktag Unserer Lieben Frau vom Siege eingeführt zum Dank für den Sieg der christlichen Flotte über die Türken in der Seeschlacht von Lepanto (7. Oktober 1571). Schon 1573 wurde es von Papst Gregor XIII. in Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz umbenannt. Im Jahre 1716, nach dem Sieg der kaiserlichen Truppen unter dem Kommando des Prinzen Eugen von Savoyen über das Osmanische Reich in der Schlacht von Peterwardein, damals Königreich Ungarn, wurde das Fest für die ganze Kirche vorgeschrieben. 

Viele Marienbilder wie La Inmaculada Concepción von Jusepe de Ribera oder Peter Paul Rubens zeigen Maria, auch mit ihrem Sohn auf dem Arm, über dem Drachen bzw. über den am Boden liegenden Feinden (z.B. Moslems bzw. Türken) stehend. Helfend schwebt Maria in den Wolken auch über der Schlacht von Lepanto gegen die Türken und erhält vom Erzengel Michael den Lorbeerkranz des Sieges überreicht. Rufen wir sie um Fürbitte an, so wird auch uns der Sieg über die Versuchungen des Alltags gelingen. In der höchsten Ebene unter dem krönenden Kreuz schwebt in einem Wolkenkranz die Taube des Heiligen Geistes; vertrauen wir auf die Lehren, welche uns Jesus Christus überbracht hat und hören wir auf die vom Heiligen Geist beseelten Worte des Priesters", so können wir uns sowohl von den ungläubigen Türken als auch von unseren Sünden befreien. „Das gestiftete Hochaltarbild fand 1717 im neuen Hochaltar des Oratoriums der Bürgerkongregation „Maria de Victoria“ Verwendung. Es wurde von 4 knieenden Türken getragen. Auch die Monstranz der Kongregation (heute in der Kirche „Maria de Victoria“) von Johannes Zeckl (1708) zeigt Maria und die Seeschlacht von Lepanto, den Fuss hatte ein knieender Türke gebildet, selbst die verlorene Schiffskanzel hatte das Motiv der Seeschlacht aufgenommen.“ Aufs Ganze freilich war das Oratorium ein «theatrum« der Seeschlacht von Lepanto. "Im Hochaltar trugen, wie schon gesagt, vier kniende Türken das Bild Marias vom Siege, dargestellt ist ihr Eingreifen bei der Seeschlacht von Lepanto, in der »Lepantomonstranz« trug ein kniender Türke das Relief, das die Seeschlacht zeigte, die Schiffskanzel fügte sich ein. Maria als hilfreiche und mächtige Fürsprecherin und Helferin: Das war in der langen Zeit der Bedrohung des Abendlandes von bleibender Aktualität, die Schlacht von Lepanto ein Ereignis, das auch den handfestesten Bürger ansprechen musste." Vgl. Kurse Nr. 647 Peter Paul Rubens, Nr. 326 Kunst und Architektur der Renaissance, Nr. 586 Tizian, Nr. 591 Paolo Veronese, Nr. 598 El Greco, Nr. 648 Calderón de la Barca II, Nr. 650 Calderón de la Barca III, Nr. 563 Miguel de Cervantes I, Nr. 645 Miguel de Cervantes II, Akademie der Kunst und Philosophie / Acadmy of Arts and Philosophy / Academia de Artes y Filosofía
 
 


Seeschlacht von Lepanto in Szene gesetzt. Engel schleudern Blitze gegen die osmanische Flotte, die christliche Flotte erhält vom Engel den Lorbeerkranz, Ingolstadt
 


Titian, Philipp II as Prince, 1551
 
 
 


Titian, The Transfiguration, 1560, oil on canvas, in the Church of San Salvador, Venice
 
 
 


Titian, "The Doge Antonio Grimani in Worship of Faith - La Fede", 1555/76, Palazzo Ducale, Venice (unfinished at the time of Titian's death, completed by his nephew, Maco Vecellio)
 
 
 


Tizian, Sisyphos, 1548-49, Museo del Prado, Madrid

Tizians, Sisyphos entstand 1548-49 im Auftrag der Königin Maria von Ungarn für ein Schloss in der Nähe von Brüssel. Tizian hatte durchaus eine Ahnung von der Aktualität des verlorenen, vom Geist und Kosmos abgeschnürten Menschen, der sich heute zum Beispiel in die mechanistische Biotech-Medizin oder Biotech-Landwirtschaft verirrt hat. Nicht eine Kirche, die selbst zum Problem geworden ist, kann ihn retten, sondern nur der Christus kann zum Erlöser werden, weshalb auch Richard Wagner in seinem Parsifal den Chor singen lässt: "Erlösung dem Erlöser".

In Tizians Bild trägt Sisyphos den Stein an der Stelle, wo eigentlich der Kopf sein sollte. Der schwere Stein kann somit als Bild für einen Menschen mit mit einem überproportional großen Verstand aufgefasst werden. Dass Sisyphos es nie schafft den Stein auf den Gipfel zu tragen, liegt daran, dass dieser Verstand dauernd versucht mechanistisch, quantifizierend, reduzierend, rationalisierend vorzugehen ohne Seele und Geist zu berücksichtigen; es kommt zu Konstruckten, Gedankengebäuden oder Biotech-Produkten, die immer wieder in sich zusammenfallen, weil sie nicht Lebensfähig sind. Schon Tizian erlebte, wie das Universum entseelt und entgeistet wurde. Die Erde schrumpfte zusammen zu einem unbedeutenden Staubkorn in der entgeisteten und entseelten Welt. Der Blick zwischen dem Menschen und dem Kosmos wurde verstellt. So wie die moderne Naturwissenschaft von den Biotech-Strategen genutzt wird, um biotechnologisch optimierte Menschen, Tiere und Pflanzen zu erzeugen, könnte sie in Verruf geraten und letztlich so dastehen wie Sisyphos mit seinem mühsamen und sinnlosen Unterfangen. Wissenschaftler könnten sich zu Pseudo-Wissenschaftlern entwickeln, die mit Genen und mRNA experimentieren und Wirkungen hervorrufen, die sie nicht durchschauen und die hergestellten Produkte und Medikamente als gut verkaufen; Zu den Aussagen unserer heutigen Politiker und den von ihnen alimentierten Wissenschaftlern und Journalisten, meint ein Komiker, es könne leicht passieren, dass man die Lüge für die Wahrheit, und die Wahrheit für eine Lüge halte: "passar con facilidad  / la mentira por verdad,  / y la verdad por mentira". Biotech-Wissenschaftler sind dann keine "Amante de las ciencias" (Liebhaber der Wissenschaft) sondern "monstro en ciencias" (Monster in der Wissenschaft). 

Sisyphos ist heute vielfach ein sogenannter "Bio-Hacker", der die DNA oder mRNA der Lebewesen verändert. Es handelt sich wie oben gezeigt, eigentlich schon um kriminelle Biotechnologie bzw. Biotech-Medizin oder Biotech-Landwirtschaft. Denn die künstliche mRNA ist eine biologische Software, mit der körpereigene Zellfunktionen "gehackt" und die Zellen in effiziente Arzneimittelfabriken umgewandelt werden. Der Mensch wird, wie oben beschrieben, von den Biotechfirmen (z.B. Biontech/Phizer und Moderna) als Maschine bzw. Computer betrachtet, der nur von Zeit zu Zeit ein "Software-Update" benötigt. Seit einigen Jahren sind unterschiedliche neue gen- bzw. biotechnische Verfahren in der Entwicklung, die sowohl in der Pflanzen- und Tierzüchtung als auch im humanmedizinischen Bereich und der Grundlagenforschung eingesetzt werden. Es geht um Genom-Editierung. Im Gegensatz zur "alten" Gentechnik soll es mit diesem Verfahren, allen voran mit CRISPR/Cas, möglich sein, sehr präzise in der Erbgut von Lebewesen einzugreifen. "Auch wenn mit den neuen gentechnischen Verfahren in bestimmten Fällen nur einzelne Basen des Erbguts eingefügt oder entfernt, also sogenannte Punktmutationen erzeugt werden, kann dies Organismen stark verändern. Solche Eingriffe können zum Beispiel dazu führen, dass Proteine fehlerhaft oder gar nicht mehr erzeugt werden." Es kann also niemand abschätzen, was wirklich passiert, wenn beispielsweise mit dem CRISPR/Cas System gearbeitet wird, das aus einem synthetisch hergestellten Erkennungs- und einer Schneidekomponente besteht und nach Hacker-Art in die Zelle eingeschleust wird. "Bei der Erkennungskomponente handelt es sich um ein kleines Molekül, "guide RNA" genannt. Sie erkennt den Zielbereich auf der DNA und bindet die Schneidekomponente, also das Cas-Protein, und bringt es in Position." Das Cas-Protein spaltet die DNA im Zielbereich auf. Der "Bio-Hacker" kann nun falsche Basen einbauen, oder kleinere Bereiche der DNA herausnehmen.. "Auf diese Weise können wenige Basenpaare der DNA verändert und Gene ausgeschaltet bzw. manipuliert werden. In über 90 % der Anwendungen an Pflanzen haben Forschende CRISPR und andere Verfahren dazu genutzt, um Gene auszuschalten oder zu entfernen, und damit sogenannte Knockout-Pflanzen geschaffen, bei denen ein Gen nicht mehr aktiv ist." CRISPR/Cas ist ein einträgliches Geschäftsmodell für die Agrarindustrie und Biotech-Medizin sowie Betätigungsfeld für eine neue Art von Wissenschaftlern, den  - noch nicht kriminalisierten - Bio-Hackern. Vgl. Kurse Nr. 586 Tizian, Nr. 533 Aristoteles, Nr. 652 Juan Ruiz de Alarcón, Nr. 659 Wissenschaftslehre I, Nr. 666 Wissenschaftslehre II, Akademie der Kunst und Philosophie
 
 




Diego Velázquez, "Die Spinnerinnen" (Las Hilanderas) oder auch "Die Sage der Arachne" (La fábula de Aracné), Museo del Prado, 1644-58

Schon die architektonische Anordnung beider Räume gibt einen Hinweis darauf, dass sich hinter dem Werk noch etwas verbirgt: die Legende über das Schicksal der Arachne. Ein Schlüssel dazu ist der Wandteppich, auf dem der Raub der Europa dargestellt ist. Diese Szene war das Thema, das die junge Weberin Arachne gewählt hatte, als sie in einem Wettstreit mit der olympischen Göttin Pallas Athene, Erfinderin der Webkunst, diese in ihrer Kunst übertreffen wollte. Velázquez, ein großer Bewunderer Tizians, zeigt hier das von Arachne zum Teppich umgearbeitete Bild Tizians: Der Raub der Europa, das sich zu Velázquez’ Zeit im Königlichen Palast in Madrid befand und das dieser gekannt haben wird. Hierin zeigt Tizian Zeus, der als Stier verwandelt Europa umwirbt, die er begehrte. Als diese Zutrauen zu dem zahmen Stier fasste, entführte er sie, was seiner Gattin Hera missfallen musste. 

Es geht hier also um die Bedeutung der Mythologie und Philosophie/Wissenschaft sowie der Schönen Künste. Velázquez lässt die Göttin Athene zwar im Bild triumphieren und im Wettstreit siegen, doch befindet er sich auf Seiten Arachnes. Diese steht stellvertretend für die Bildkünste (hier anhand der Bildwirkerei gezeigt), die zu Lebzeiten Velázquez’ nicht zu den Freien Künsten, den Artes liberales, zählten. Sein Rühmen der Bildteppiche Arachnes ist ein Eintreten des Künstlers für die Wirkungsmacht der Bilder und für eine gesellschaftliche Anerkennung der Bildenden Künste, die er den Freien Künsten dazugesellen möchte. Wie Velázquez’ Bild Las Meninas gehört auch dieses Bild in die Reihe berühmter Bilder der Kunstgeschichte, die sich bisher einer vollständigen und schlüssigen Deutung entzogen haben. Erster Besitzer des Bildes war der Hof-Oberjäger des Königs, Pedro de Arce, in dessen Inventar von 1664 das Bild unter dem Namen Fabel der Arachne genannt wird. 1711 gelangte es in die Sammlung des Königs, wurde bei dem Palastbrand von 1734 beschädigt, und verlor dabei neben einiger Bildsubstanz offenbar auch seinen alten Titel. Im Inventar von 1772 des Palacio Real wurde es unter dem Titel Teppichfabrik mit mehreren spinnenden und webenden Frauen geführt. Den heute üblichen Titel Las Hilanderas erhielt das Bild erst von dem spanischen Hofmaler Mengs, gesehen wurde es weiterhin als ein Beispiel der Genremalerei. 1872 richtete sich zum ersten Mal das Interesse eines Kunsthistorikers auf die mythologische Szene im Hintergrund des Bildes. Pedro de Madrazo beschrieb das Bild als Darstellung der königlichen Teppichmanufaktur in der Calle de Santa Isabel mit einer mythologischen Szene im Hintergrund. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts befasste sich die Wissenschaft vermehrt mit der Entschlüsselung weiterer Deutungsebenen des Gemäldes. 1927 beschrieb Aby Warburg das Bild als Allegorie der Webkunst und identifizierte zwei Personen des Bildes als Pallas Athene. Warburg fand den zu Grunde liegenden Textbezug in den Metamorphosen des Ovid, aus der sich auch die Deutung des Teppichbildes mit dem Raub der Europa erschließen lässt, denn dies war nach Ovid Thema des ersten von Arachne gewebten Teppichs. Charles de Tolnay interpretierte 1949 das Bild als Allegorie der Künste und deutete vier Figuren vor dem Teppich als Allegorien der Bildhauerei, der Malerei, der Architektur und der Musik und ordnete das Gemälde in den Kontext der Artes-liberales-Debatte des 17. Jahrhunderts ein. 

Der effektive Altruismus, wie er in den USA Biotech-Firmen unterstützt, hat ähnlich wie die Pseudo-Philosophie des Hauspropheten der Biotech- und KI-Branche und des Silicon Valley, mit Philosophie, wie sie Aristoteles, die Idealisten Fichte, Schelling, Hegel und Thomas von Aquin verstanden, nicht viel zu tun, denn es handelt sich um reinen Utilitarismus, als Nützlichkeits-Fanatismus, der die Bedeutung der Mythologie und Philosophie/Wissenschaft sowie der schönen Künste kleinredet, die der Maler Diego Velázquez aber in den Mittelpunkt gerückt wissen wollte. Ein Begründer des effektiven Altruismus, der Kryptohändler Sam Bankman-Fried, der im Dezember 2022 nach dem Bankrott seiner Firma FTX wegen des "Verdachts auf Betrug und Geldwäsche verhaftet wurde und derzeit vor Gericht steht, fiel nicht allein durch seine demonstrative Verweigerung einer gepflegten Erscheinung auf; dadurch aber auch. Sein ungekämmtes Haar, seine schlabbrigen T-Shirts und die kurzen Hosen drückten die Ungezwungenheit eines Genies aus, das es nicht nötig hat, die Etikette zu beachten. Aber sie waren auch die Arbeitskleidung des hemmungslosen Wohltäters, als der sich Bankman-Fried ausgab. Er war der Held der Bewegung des Effektiven Altruismus, eine Art moderner Robin Hood. 99 Prozent seines Einkommens wolle er spenden, kündigte er Anfang vergangenen Jahres an, auf dem Höhepunkt seiner Karriere soll er ein Vermögen von 26,5 Milliarden Dollar besessen haben." 160 Millionen steckte er tatsächlich in über 100 Hilfsprojekte, vor allem aber in Biotech-Start-ups und Stipendien für Schüler, die später in der Biotech-Branche arbeiten wollen. 

Bankman-Fried ist der wohl prominenteste EA, wie sich die Anhänger des Effektiven Altruismus selbst nennen. "Aber auch unabhängig von seiner Blitzkarriere hat die Idee in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung gemacht. Als ihr Begründer gilt der junge schottische Moralphilosoph William MacAskill (heute 32 Jahre alt), der in Oxford lehrt und dort, mit seinem Kommilitonen Toby Ord und ein paar Gleichgesinnten, 2011 seine Theorie auf den Begriff gebracht hat. Er hätte sie auch „Rationales Mitgefühl“, „Optimale Philanthropie“ oder „Evidenzbasierte Wohltätigkeit“ nennen können, aber die Wortkombination „Effektiver Altruismus“ ging 2011 in einer Abstimmung als Sieger hervor – und erwies sich seitdem als erstaunlich eingängige Formel. Im Kern besagt ihr utilitaristisches Prinzip, dass die Bewohner der westlichen Welt, in der selbst Menschen unterhalb der Armutsgrenze noch reicher sind als 85 Prozent der Menschen auf der Erde, moralisch nicht nur dazu verpflichtet sind, Gutes zu tun, sondern dies auch mit maximal möglicher Wirksamkeit. Vorreiter der Idee ist der australische Utilitarist Peter Singer, MacAskill und seine Anhänger haben dessen Ansatz konsequent weitergetrieben, vernetzt und vermarktet. Vor allem in der kalifornischen Tech-Szene trafen sie damit einen Nerv, in jenem Milieu also, dessen Mitglieder sich durch überdurchschnittlich gutes Einkommen, schlechtes Gewissen und Faible für pragmatische Lösungen auszeichnen." Effektiver Altruismus passt perfekt zum Pseudo-Idealismus des Silicon Valley, der mit viel Eifer und Eitelkeit die Symptome sozialer Probleme beheben will, ohne jemals an deren strukturellen Ursachen zu rütteln, zu fragen ob Biotech, Gentechnik, CrisprCas überhaupt sinnvoll sind, auf denen schließlich der eigene Wohlstand beruht. "Heute hat sich der Effektive Altruismus vom moralphilosophischen Konzept zur erfolgreichen Lifestyle-Marke entwickelt. Inzwischen haben sich mehr als 7000 Mitglieder der Bewegung dazu verpflichtet, mindestens zehn Prozent ihres Einkommens zu spenden, MacAskill selbst gibt die Hälfte seiner Einnahmen. Der Journalist Ezra Klein gehört genauso zu den Anhängern wie der Philosoph und Podcaster Sam Harris. Weltweit gibt es mehr als 200 EA-Gruppen, jede Woche finden irgendwo auf der Welt „Retreats“ und „Unconferences“ statt, wie dieses Wochenende in Berlin-Wannsee, wo die Teilnehmer bei veganem Essen zwischen Parkour-Workshops und Waldspaziergängen nicht nur lernen, wie man Gutes tut, ohne Geld für überteuerte Hilfsmaßnahmen zu verplempern. Sondern auch, wie sie ihre eigenen Talente gewinnbringend einsetzen." 

Wichtig sei nicht, dass man im Einklang mit seiner Philosophie z.B. in ökologischen Projekten arbeite, sondern möglichst früh viel Geld verdiene, an Elite-Unis studiere und z.B. in der Biotech-Branche oder in der gentechnisch optimierten Massentierhaltung arbeite wie sie in den USA üblich ist mit Antibiotika-Einsatz und "Biotech-Impfung" bei Bienen Gentechnik, CrisprCas und Klonen bei anderen Nutztieren. Denn auch für die „ethische Lebensoptimierung“ seiner Anhänger hat MacAskill eine Organisation gegründet, benannt nach der durchschnittlichen Lebensarbeitszeit. „80 000 Hours“ hat sich die Karriereberatung für den Weltverbesserungsnachwuchs zur Aufgabe gemacht. "Vor allem Absolventen renommierter Unis empfiehlt man, lieber einen gut bezahlten Job an der Wall Street anzunehmen und das damit verdiente Geld zu spenden, statt sich persönlich in Wohltätigkeitsorganisationen zu engagieren. „Earning to give“ heißt diese Devise, mit der MacAskill anfangs im Zweifelsfall sogar eine Karriere in der Ölindustrie rechtfertigte, schließlich würde den Job sonst jemand anderes machen. Auch Bankman-Fried legte MacAskill persönlich eine Karriere in der Finanzbranche nahe, als der als Erstsemester am MIT auf der Suche nach einer Berufung war." 

Zu welch grotesken Auswüchsen so ein ungebremster Utilitarismus führen kann, zeigt sich an den Projekten, die in den vergangenen Jahren immer mehr die direkte Hilfe für Notleidende verdrängen. So führt der Maximierungswahn des vermeintlich taxierbaren Lebensglücks fast zwangsläufig zu einem besonderen Faible für Tierschutz, vor allem von Nutztieren - allerdings werden darunter biotechnisch optimierte Nutztiere verstanden oder die Abschaffung der landwirtschaftlichen Nutztiere, da die Produkte wie Fleisch und Käse von Biotech-Firmen wie "Formo Bio" im Labor erzeugt werden; abgesehen davon, dass niemand diese Produkte haben will, wird dazu allerdings viel Strom benötigt, weshalb diese Firmen am liebsten auf Atomenergie setzen. "Ähnlich fragwürdig ist das Kalkül, wenn es um Gelder für die vielen Organisationen der Bewegung geht. Wenn er nach besonders effektiven Investment-Tipps gefragt wird, empfiehlt MacAskill ungeniert Spenden für seine eigenen Stiftungen und begründet das gerne mit der angeblich beachtlichen Hebelwirkung. Wer etwa in die Arbeit seiner Stiftung „Giving What We Can“ investiere, behauptet er, ermögliche es den erfahrenen Fundraisern, ein Vielfaches davon an Spenden zu mobilisieren. Laut „80 000 Hours“ steht der „Aufbau des Effektiven Altruismus“ sogar schon auf Platz 3 der „Liste der dringendsten Weltprobleme“, hinter den Risiken der Künstlichen Intelligenz und denen katastrophaler Pandemien. Der Wasserkopf von Verwaltung und Organisation, den man anderswo als ineffiziente Bürokratie kritisiert, wird bei EA als Wundermittel der Spendenvermehrung verklärt, als „Meta Charity“ mit nachweisbarem Multiplikatoreffekt. So zahlt die Bewegung, wie bei einem modernen Ablasshandel, beseelt auf die Konten der eigenen Organisationen ein. Dass die vermeintliche Effektivität des Altruismus inzwischen zur reinen Behauptung geworden ist, liegt aber vor allem an einer Prioritätenverschiebung in MacAskills Denken, die spätestens in seinem im September erschienenen Buch „What We Owe The Future“ offensichtlich wurde. Darin propagiert er die komplette Wende zur Theorie (und Praxis) des „Longtermism“, einer Idee, die im Dunstkreis der kalifornischen Philanthropen schon lange genauso vor sich hin gärt wie in den Zirkeln der Oxforder Philosophen rund um Toby Ord, Nick Bostrom und das „Future of Humanity Institute“. Longtermism basiert auf der These, dass die Menschen der Zukunft moralisch nicht weniger zählen als die gegenwärtige Generation; und weil ihre Menge aber theoretisch unendlich größer ist, hat ihre Rettung Priorität. „Die stillen Milliarden“ nennt MacAskill unsere Nachkommen und vergleicht sie mit den rechtlosen Gruppen, die in der Vergangenheit lange um ihre Interessen kämpfen mussten. Natürlich ist es durchaus zeitgemäß, die Perspektive auf die Zukunft auszuweiten. In gewisser Weise ist Longtermism mittlerweile Common Sense, schließlich hat sogar das Bundesverfassungsgericht unlängst das „Grundrecht auf menschenwürdige Zukunft“ konstatiert. Aber MacAskill, seine reichen Freunde und immer mehr der von ihnen finanzierten Stiftungen und Lobbyisten ziehen den Horizont so weit in die Zukunft, dass ihr Utilitarismus endgültig spekulativ wird – was die an der Börse konditionierte Klientel womöglich als ganz reizvoll begreift."

Die Milliarden der EA-Spender gehen inzwischen kaum noch in die weltweite Armuts- und Krankheitsbekämpfung. Sondern in die Biotech-Industrie oder in Initiativen zur Entwicklung menschenfreundlicher KI (welche, wie man am Beispiel der Stiftung Open-AI sieht, die Zukunft, vor der sie warnen, am entschlossensten vorantreiben). Und in unzählige Institute, die gut bezahlt darüber nachdenken, welche heute noch unbekannten Gefahren jenseits des Roboteraufstands in der Zukunft lauern könnten. "Moralisch unvergleichlich fatal, so lautet eine jener bizarren Pointen des Ethikfuturisten Bostrom, sei beispielsweise die Trödelei, die die Menschheit bei der Kolonisierung des Weltraums an den Tag legt: Denn während wir Netflix gucken oder gegen den Krebs kämpfen, heizen Milliarden von Sonnen im Universum leere Räume, in denen empfindungsfähige Wesen ein lebenswertes Leben führen könnten. Allein in unserem Supergalaxienhaufen, so schrieb Bostrom schon 2003 in seinem Aufsatz „Astronomical Waste“, gingen in jedem Jahrhundert der versäumten Weltallbesiedlung 10^38 Leben verloren, das sind selbst pro Sekunde noch Hunderte Quadrilliarden. Mit derartigen Verweisen auf potentielle Glücksrenditen in einer unbestimmten Zukunft lässt sich die moralische Effektivität für jedes noch so abwegige Langzeitprojekt behaupten. Notfalls subventioniert man irgendein Institut, das die Gefahr einer hypothetischen Apokalypse untersucht und beziffert. Wer sich dagegen immer noch mit den profanen Problemen der Gegenwart beschäftigt, beweist damit nur seinen beschränkten Horizont. Kein Wunder, dass auch der berühmte Eskapist Elon Musk MacAskills Buch als „nah an seiner Philosophie“ gelobt hat." Am Ende ist der Effektive Altruismus heute nichts anderes als ein moralisch aufgeladener Investmentfonds für die Biotech-Industrie. Vgl. Kurse Nr. 586 Tizian, Nr. 533 Aristoteles,   Nr. 666 Wissenschaftslehre II, Nr. 664 Philosophie der Kunst, Akademie der Kunst und Philosophie
 
 


Titian, Selfportrait, 1562
 
 

Tizian (Tiziano Vecellio)
Akademie der Kunst und Philosophie / Academy of Arts and Philosophy
DI. M. Thiele, President and international Coordinator
M. Thiele College of Beetherapy / Academy of Arts and Philosophy / Sciences

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Zur Philosophie und Kulturgeschichte von Byzanz, des Mittelalters, der Schule von Chartres, der Renaissance, des Barock, der Aufklärung, des Idealismus, der Romantik vgl. Kurse:Nr. 551 G.W.F. Hegel I, Nr. 660 G.W.F. Hegel II, Nr. 511 Johann Gottlieb Fichte I, Nr. 658 Johann Gottlieb Fichte II, Nr. 509 F.W.J. Schelling I, Nr. 510 F.W.J. Schelling II, Nr. 513 F.W.J. Schelling III, Nr. 505 Arthur Schopenhauer I-II, Nr. 663 Arthur Schopenhauer III, Nr. 531 Platon, Nr. 533 Aristoteles, Nr. 623 Johann Ludwig Wilhelm Müller, Nr. 020 Johann Wolfgang von Goethe I-II, Nr. 673 Johann Wolfgang von Goethe III, Nr. 553 Friedrich Schiller I-II, Nr. 675 Friedrich Schiller III, Nr. 554 Friedrich Hölderlin I-II, Nr. 512 Novalis I, Nr. 671 Novalis II, Nr. 677 Jean Paul, Nr. 667 Romantische Kunst und Philosophie I, Nr. 669 Romantische Kunst und Philosophie II, Nr. 630 Johann Ludwig Tieck, Nr. 631 Adelbert von Chamisso, Nr. 567 Gottfried Wilhelm Leibniz, Nr. 665 Molière, Nr. 622 Victor Hugo I, Nr. 674 Victor Hugo II, Nr. 629 Voltaire I-II, Nr. 679 Laurence Sterne, Nr. 621 Lord Byron I, Nr. 676 Lord Byron II, Nr. 628 Percy Bysshe Shelly, Nr. 561 Sir Walter Scott, Nr. 555 Angelus Silesius, Nr. 634 Hans Sachs, Nr. 619 Franz Werfel, Nr. 680 Nikos Kazantzakis, Nr. 588 Johann Wilhelm Ludwig Gleim, Nr. 550 Fjodor M. Dostojewskij I-II, Nr. 506 Wladimir Solowjew, Nr. 664 Philosophie der Kunst, Nr. 661 Philosophie der Geschichte, Nr. 659 Wissenschaftslehre I, Nr. 666 Wissenschaftslehre II, Nr. 681 Wissenschaftslehre III, Nr. 682 Wissenschaftslehre IV, Nr. 683 Wissenschaftslehre V, Nr. 545 Sittenlehre I-II, Nr. 614 Sittenlehre III, Nr. 544 Staats- und Rechtslehre I-II, Nr. 641 Staats- und Rechtslehre III, Nr. 644 Staats- und Rechtslehre IV, Nr. 655 Staats- und Rechtslehre V, Nr. 618 St. Ephraim der Syrer, Nr. 617 St. Cyrill von Alexandrien, Nr. 616 St. Gregor von Nazianz, Nr. 613 St. Gregor von Nyssa, Nr. 612 St. Johannes Chrysostomos, Nr. 611 St. Johannes Cassianus, Nr. 627 St. Basilius der Große, Nr. 625 Theodorus Abucara, Nr. 624 Byzantinische Wissenschaft / Philosophie, Nr. 653 St. Cyprianus, Nr. 609 St. Athanasius der Große, Nr. 605 St. Irenaeus von Lyon, Nr. 604 St. Hildegard von Bingen, Nr. 600 St. Johannes von Damaskus, Nr. 599 St. Petrus Venerabilis, Nr. 581 Bernhard von Chartres, Nr. 580 Wilhelm von Conches, Nr. 578 Pierre Abaelard, Nr. 574 Johannes von Salisbury, Nr. 577 Petrus Lombardus, Nr. 576 Gilbert de la Porrée / Gilbert von Poitiers, Nr. 565 Johannes Scotus Eriugena, Nr. 575 Thierry de Chartres, Nr. 571 Alanus ab Insulis, Nr. 572 Anselm von Canterbury, Nr. 570 St. Hilarius von Poitiers, Nr. 568 Nicolaus Cusanus I, Nr. 568 Nicolaus Cusanus II, Nr. 568 Nicolaus Cusanus III, Nr. 564 St. Ambrosius, Nr. 564 St. Augustinus I, Nr. 601 St. Augustinus II, Nr. 654 St. Augustinus III, Nr. 579 St. Albertus Magnus, Nr. 500 St. Thomas von Aquin I, ScG, Nr. 501 St.Thomas von Aquin II,  Sth I., Nr. 502 St.Thomas von Aquin III, Sth. I-II, Nr. 582 St.Thomas von Aquin IV, Sth II-II, Nr. 583 St.Thomas von Aquin V, Sth. III, Nr. 566 Meister Eckhart, Nr. 562 Dante Alighieri I-II, Nr. 672 Dante Alighieri III, Nr. 558 Calderón de la Barca, Nr. 648 Calderón de la Barca II, Nr. 650 Calderón de la Barca III, Nr. 651 Calderón de la Barca IV, Nr. 563 Miguel de Cervantes I, Nr. 645 Miguel de Cervantes II, Nr. 637 Lope de Vega I, Nr. 638 Lope de Vega II, Nr. 642 Lope de Vega III, Nr. 643 Lope de Vega IV, Nr. 652 Juan Ruiz de Alarcón, Nr. 632 Ginés Pérez de Hita, Nr. 633 Luis Vaz de Camões, Nr. 678 François Rabelais, Nr. 557 Ludovico Ariosto I-II, Nr. 668 Ludovico Ariosto III, Nr. 556 Torquato Tasso, Nr. 552 William Shakespeare I-II, Nr. 559 Wolfram von Eschenbach, Nr. 560 Walter von der Vogelweide, Nr. 662 Gottfried von Strassburg, Akademie der Kunst und Philosophie / Académie des sciences

Nr. 320 Romanische Kunst und Architektur, Nr. 350 Byzantinische Kunst und Architektur, Nr. 325 Kunst und Architektur der Gothik, Nr. 326 Kunst und Architektur der Renaissance, Nr. 586 Tizian, Nr. 591 Paolo Veronese, Nr. 597 Correggio, Nr. 670 Annibale Carracci, Nr. 520 Rembrandt, Nr. 598 El Greco, Nr. 620 Giovanni Battista Tiepolo, Nr. 590 Giovanni Bellini, Nr. 656 Andrea Solari, Nr. 657 Bernadino Luini, Nr. 587 Andrea Mantegna, Nr. 595 Jan van Eyck, Nr. 635 Rogier van der Weyden, Nr. 640 Stefan Lochner, Nr. 646 Michael Pacher, Nr. 647 Peter Paul Rubens, Nr. 649 Giotto di Bondone, Nr. 626 Luca Signorelli, Nr. 610 Piero della Francesca, Nr. 596 Perugino, Nr. 522 Raffael (Raffaello Sanzio), Nr. 523 Sandro Botticelli, Nr. 602 Benozzo Gozzoli, Nr. 606 Fra Angelico, Nr. 607 Pinturicchio, Nr. 608 Domenico Ghirlandaio, Nr. 593 Filippo Lippi, Nr. 594 Filippino Lippi, Nr. 589 Albrecht Dürer, Nr. 603 Bernard van Orley, Nr. 615 Ambrogio da Fossano detto il Bergognone, Nr. 636 Eugène Delacroix, Nr. 639 Bartolomé Esteban Murillo, Akademie der Kunst und Philosophie



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Letzte Bearbeitung:24.03.2023